Zwei Jahre Gemeinschafts-Forschungsreise“ haben mich vieles gelehrt – insbesondere: Gemeinschaft will gelernt sein! Haltet euch fest: Mehr als 80% der Gemeinschaftsgründungsprojekte scheitern schon vor der Gründung oder innerhalb weniger Jahre danach.
Eine gute Gemeinschaft fällt nicht vom Himmel…
Woran liegt es, wenn Gemeinschaften scheitern?
Manchmal liegt es an Bürokratie, Finanzen und systembedingter Gewalt: Ein Investor schnappt der Gruppe das ersehnte Grundstück weg, Behörden verweigern notwendige Genehmigungen, oder es gibt Finanzierungsprobleme.
Manchmal liegt an persönlichen Gründen: Die Gründergruppe fällt auseinander, z.B. weil ein engagiertes Paar sich trennt oder wegen Nachwuchs keine Zeit mehr hat.
Oft liegt es an Kommunikationsproblemen und Streitigkeiten in der Gruppe. Viele Gruppen gehen davon aus, dass das mit dem gemeinschaftlichen Leben schon irgendwie funktionieren wird, wenn nur erst der passende Ort gefunden ist… doch das ist ganz und gar nicht selbstverständlich.
Was können also Gemeinschaftsgründer tun, um den Erfolg des Projektes wahrscheinlicher zu machen? Im folgenden gehe ich auf 8 Punkte ein. Dabei habe ich mich vom Gemeinschaftskompass inspirieren lassen (den es mittlerweile auch als Buch gibt) sowie von diversen Seminaren, Gesprächen, Büchern und eigenen Erfahrungen.
Teil 1: Hier auch als Audiodatei!
- Erwachsenwerden & Eigenverantwortung
- Authentische Kommunikation – bewusste Pflege des Miteinanders
- Intention: Klarheit über die Ausrichtung des Projekts schaffen
- Ausgleich von Geben und Nehmen
Teil 2: Hier der Artikel und hier die Audiodatei
5. Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen bewusst gestalten
6. Bewusster Umgang mit Hierarchie und Macht
7. Quellenprinzipien beachten
8. Praxis
1. Erwachsenwerden & Eigenverantwortung
Erwachsenes, eigenverantwortliches Verhalten ist eine Grundvoraussetzung, damit echte Gemeinschaft gelingen kann. Das Problem ist nur, dass die allermeisten Menschen in unserer Gesellschaft das nie gelernt haben! Viele stecken noch in Scham, Schuld und anderen kindlichen Mustern fest:
- Die Sucht nach Anerkennung und Bestätigung;
- die Erwartung, dass die Gemeinschaft dafür zuständig sei, meine Bedürfnisse zu erfüllen;
- die Unfähigkeit, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse klar auszudrücken,
- die Vorstellung, dass ich andere „retten“ oder erziehen müsste;
- die Vorstellung, dass andere sich irgendwie ändern müssten,
- die Unfähigkeit, zuzuhören
- die Unwilligkeit, konstruktives Feedback anzunehmen oder zu geben,
- die Vorstellung, dass mein Glück abhängig vom Verhalten anderer sei, oder dass andere schuld an meinem Leid seien;
- Autoritätshörigkeit, Trotz oder Rebellion;
- Konflikte überspielen, vermeiden oder explodieren… statt sie direkt anzusprechen…
und so weiter und so fort.
Solche Verhaltensmuster sind Gift für jede Gemeinschaft, insbesondere wenn es unbewusst und unreflektiert geschieht. Deswegen zerfallen so viele Gemeinschaftsgründungsinitiativen schon zu Beginn.
Deswegen halte ich es für notwendig, dass alle Gemeinschaftsinteressenten sich verpflichten, bewusst mit diesen Mustern umzugehen und sie Schritt für Schritt aufzulösen.
Die anderen Gemeinschaftsmitglieder können dabei eine riesige Hilfe sein, oder auch externe Unterstützer.
Durch Bewusstheit und durch die Entschlossenheit zur gemeinsamen Entwicklung kann ein zusammengewürfelter Haufen Egoisten sich in eine echte Gemeinschaft verwandeln!
Ansonsten bleibt’s halt eine „normale“ WG. Das kann natürlich auch vollkommen in Ordnung sein! Es kommt drauf an, was man denn will…
2. Authentische Kommunikation – bewusste Pflege des Miteinanders
Authentisch und echt zu kommunizieren, ist für mein Verständnis eine Grundlage für Gemeinschaft!
Das ist, wie schon oben angedeutet, ein individueller Entwicklungsprozess – der aber durch gemeinschaftliches Leben stark beschleunigt werden kann.
Es viele Methoden, Gemeinschaft und Kommunikation bewusst zu pflegen. Zum Beispiel gemeinsame Rituale oder bestimmte Gesprächsformate mit bestimmten Regeln. Eine bewusste Kommunikationskultur – z.B. mit gewaltfreier Kommunikation oder Ehrlichem Mitteilen – ist sehr hilfreich: Um Vertrauen zu bilden, um Offenheit zu ermöglichen, um zu gewährleisten, dass man einander zuhört… also um Grundlagen für authentisches Miteinander zu legen.
Zur Kommunikationskultur gehört auch eine offene Feedback- und Konfliktkultur. Vielleicht klingt es erstmal paradox, doch Konfliktvermeidung ist genauso schädlich für Gemeinschaften wie ein aggressiver Umgang mit Konflikten! Warum?
Konflikte sind letzten Endes nichts anderes unterschiedliche Strategien, um Bedürfnisse zu erfüllen. Wenn jedoch Bedürfnisse nicht offen angesprochen werden, dann braucht sich keiner zu wundern, wenn sie nicht erfüllt werden. Eigentlich sehr einfach… doch in der Praxis wird da oft Übung benötigt.
Andererseits gibt es Situationen wie diese: Man spricht jemand auf ein Problem an (z.B. mich stört dies und das an deinem Verhalten, oder deine Katzen kacken überall hin…) und derjenige sagt sowas wie „Was ist denn dein Problem? Ich hab kein Problem“. Damit macht er jedes Gespräch unmöglich und stellt die eigenen Bedürfnisse über die anderer. Solche Leute können Gemeinschaften in die Verzweiflung treiben und wundern sich, wenn andere sich von ihnen abwenden…
Und was, wenn sich jemand asozial benimmt und sich selbst und anderen schadet – und keiner traut sich, was zu sagen? Das „Toleranz“ zu nennen, wäre blanker Hohn. Wenn man aber zerstörerisches Verhalten einfach still duldet, ist das nicht liebevoll für den betreffenden Menschen, weil er die Konsequenzen seines Verhaltens nicht erkennen kann und somit daran gehindert wird, sich weiterzuentwickeln. Stilles Dulden ist auch nicht liebevoll für die Gemeinschaft, die dadurch gespalten und zersetzt werden kann.
Um es ganz deutlich zu sagen: Wer unkonstruktives oder gar zerstörerisches Verhalten still duldet, verhält sich nicht edel, sondern eher rückgratlos. Durch Nichtstun macht man sich mit verantwortlich, wenn das Verhalten andauert und die Gemeinschaft zersetzt.
Wie kann man nun Kommunikationsfähigkeiten trainieren? Ich kann nur empfehlen, sich mit gewaltfreier Kommunikation und Ehrlichem Mitteilen (nach Gopal) zu beschäftigen.
Die Haltung der gewaltfreien Kommunikation hat mir zum Beispiel geholfen, mehr Empathie und Mitgefühl für mich und andere zu entwickeln; zu spüren, was andere brauchen, auch wenn sie es gerade nicht ausdrücken können; meine Gefühle und Bedürfnisse klar auszudrücken; sowie Feedback anzunehmen und auf eine Weise geben zu können, die auch beim anderen Menschen ankommen kann.
Ehrliches Mitteilen wiederum hilft mir zum Beispiel dabei, mit Gefühlen umzugehen, und mein Gespür dafür zu erweitern, ob ich oder andere gerade wahrhaftig sind oder etwas vorspielen. Weiterhin kann es helfen, mit Konflikten sinnvoll umzugehen.
Es lohnt sich für alle Beteiligten, ihre Kommunikationsfähigkeiten auszubauen – und damit auch ihre Beziehungsfähigkeit!
Wenn wir schon beim Thema sind: Ich kann gerne eine Einführung bzw. ein Coaching in gewaltfreier Kommunikation anbieten, für Einzelpersonen oder auch für kleine Gruppen. Wenn dich das interessiert, dann melde dich gerne 🙂
3. Intention: Klarheit über die Ausrichtung des Projekts schaffen
Wenn es unklar ist, was ein Gemeinschaftsprojekt eigentlich erreichen soll und warum, dann wird es tendenziell auch Menschen mit unklaren Ideen anziehen und sich in Verwirrung verlieren.
Umgekehrt gilt: Wenn die Werte und Absichten des Projekts klar sind, können auch Menschen leichter entscheiden, ob ihre eigenen Werte und Absichten dazu passen – und ob sie dort leben wollen oder eben nicht. So zieht das Projekt genau die passenden Menschen an.
Nun ist es in manchen Kreisen Mode, „alle mitnehmen“ zu wollen. Doch „alle mitzunehmen“ ist pure Illusion und kann nicht funktionieren. Denn: Wenn jemand nicht mitgenommen werden will, wenn jemand keine Eigenverantwortung übernehmen will oder sich nicht mit den Werten der Gemeinschaft anfreunden kann (z.B. Bereitschaft zum Zuhören, verantwortlicher Umgang mit Konflikten, Beitrag zur anfallenden Arbeit, sinnvolle Feedbackkultur etc.), kann man diese Person ja nicht an den Haaren mitschleifen – oder so lange mitschleppen, bis sie die Gemeinschaft von innen zersetzt oder sabotiert.
Um die Absichten des Gemeinschaftsprojekts zu klären, sollte sich die Gruppe (am besten noch vor der Gründung) mit Fragen wie diesen beschäftigen:
- Auf welchen Werten beruht unser Miteinander?
- Was wollen wir eigentlich miteinander erreichen und umsetzen?
- …und wieso?
- Was ist jeder bereit und fähig, beizutragen?
- Wozu verpflichten wir uns?
- Was sind „No-Gos“ – das heißt, was müsste geschehen, damit jemand das Projekt verlässt?
- Wie wollen wir Entscheidungen treffen?
Die Antworten müssen nicht für alle Zeiten in Stein gemeißelt sein, denn oft verändert sich die Vision mit der Zeit.
Doch eine grundsätzliche Auseinandersetzung damit schafft Klarheit: Für die Gründer selbst, die ja oft viel Zeit und Geld ins Projekt investieren. Und auch für Interessenten, die wissen wollen, auf was sie sich einlassen, und ob ihre Lebensvision zu der der Gemeinschaft passt. So kann die Gemeinschaft Menschen anziehen, die zu ihr passen, die am gleichen Strang ziehen und die ihre Ziele mittragen.
4. Ausgleich zwischen Geben und Nehmen
Im Gemeinschaften gibt es oft viel zu tun, gerade in der Gründungsphase! Dafür braucht es einen guten Anteil an Führungspersönlichkeiten und „Machern“ – sowie auch Menschen, die sich davon inspirieren lassen und mitmachen.
Natürlich sollte jede(r) mal Pause machen dürfen und den eigenen Bedürfnissen nachgehen; und natürlich dürfen Gemeinschaften Wege finden, auch Menschen mit zu tragen, die zeitweise oder länger keinen Beitrag leisten können. Das steht völlig außer Frage.
Doch es gibt genug Menschen, die eine Gemeinschaft mit Mama und Papa verwechseln, in deren Schoß sie sich fallen lassen können, ohne einen angemessenen Beitrag im Ausgleich zu leisten. Und das hat leider schon viele Gemeinschaften zersetzt.
Also halte ich es für wichtig, in der Gemeinschaft ganz offen über den Ausgleich von Geben und Empfangen zu sprechen.
- Was brauchen die Mitglieder von der Gemeinschaft?
- Was braucht die Gemeinschaft von ihren Mitgliedern?
- Wie werden die Aufgaben und finanziellen Kosten aufgeteilt?
- Wie geht man damit um, wenn jemand für eine gewisse Zeit oder länger keinen Beitrag leisten kann (oder will)?
Weiter geht’s im zweiten Teil…
8 Antworten
Liebe Manuela ,
das hast du sehr schön
geschrieben,toll
kann das alles bestätigen,
weil ich es selber auch erlebt habe…!
LG aus Berlin von Chris????♂️????????
Hallo Manuela, ja genau so ernsthaft finde ich es richtig, fühlt es sich für mich auch an. Theoretisch kann man es überblicken, wenn man (& jeder einzelne) all diese Dinge gemeinsam im Blick behält.
Als ich 1999 beim ersten Los gehts in Niederkaufungen war, kann ich mich an etwas spannendes erinnern: ich hatte den Vorschlag gemacht, das Thema Konflikte in Gemeinschaften zu besprechen. Das Themenzelt war voll, aber ich war auch sehr überrascht von so viel Interesse. Aber darin sehe ich eben genau das Potential für Transformation. Dazu habe ich die These, dass wir vielleicht gelernt haben, dass uns Konflikte Angst machen, deshalb keine Chance darin für sich und eine Gruppe sehen können ?! Nämlich AUCH die Konflikte dazu benutzen, Vertrauen zu einander und zu sich selbst zu gewinnen. Denn wenn ein Konflikt gelöst ist, habe ich wieder frisches Vertrauen; ich behaupte sogar, dass es eine der wichtigsten Quelle zur Vertrauensbildung in Beziehung zueinander ist, also auch innerhalb einer Gruppe. Zusammenbleiben heißt Entwicklung, aber seine DEFIZITE werden nicht mehr als störend erlebt, wenn man den Weg miteinander weitergeht; SIE gehören erstmal mit dazu: das müßte eine Gruppe realisieren und damit auch zeigen können: jedes Mitglied wird gebraucht. Aber es ist eine wahrlich drastische Umstellung; und es ist natürlich davon abhängig, ob es dann ein liebevoller, wieder wohlwollender Prozeß wird. Dann wird keiner mehr wegrennen oder nicht dazugehören können. Konflikte müssen ernst genommen werden und sind auch meist schwierig zu meistern – können aber in einer Gruppe besser geübt werden, als mit einem einzelnen Menschen.
Vor zwei Jahren habe ich auch versucht, eine Initiative ins Leben zu rufen… einfach weil mich diese Erkenntnisse, von denen ich hier schreibe, auch einsam machten – denn es ist nicht üblich, sich zu streiten, sondern einander in Harmoniesucht zu bestetigen, ersteres führt meist eben nicht zur Auseinandersetzung sondern zum Auseinandergehen. Aber dein Blog gefällt mir, weil die Kritikpunkte, die du oben zusammengefasst hast – HERZLICHEN DANK DAFÜR -, sich als ( hier theoretisch ) konstruktiv erweisen , wenn sie realisirert werden würden. Das würde ich gern. Meine Frage konkret: wer wäre dabei ?! Meine Email: Gemeinschaft2017@posteo.de Bis dann… Oliver
danke für dein sein, es wirkt! bis immer
bin 49er und immer wieder mit gb gescheitert, aber trotzalledem ist gb die wichtigste politische aufgabe an der wir dranbleiben tun.
nu: leben liiben lernen
moin Hauke
Hallo Hauke, vielen Dank! In der Tat ist Gemeinschaftsbildung wohl eine der politischsten Aktivitäten, die ich mir vorstellen kann. Und es lohnt sich hundertfach – selbst wenn sie scheitert. Denn aus allen Erfahrungen können wir lernen, und andere können darauf später aufbauen.
Liebe Grüße!
Hallo Manuela,
gerade als ich mich wieder dem Thema Gemeinschaftsgründung annehme, kommt mir dein Artikel sehr gelegen, auch wenn er sehr kurz gehalten ist und es zu jedem Punkt sicher viel zu sagen gäbe. Vor allem die Fragen sind sehr hilfreich und bei dem heutigen Gespräch mit einer Gemeinschaftsgründerin standen auch gemeinsame Werte an erster Stelle.
Danke und liebe Grüße Silke
Danke schön 😀 und viel Erfolg bei der Gemeinschaftsgründung!
ich lebe in einer Gemeinschaft…und ja es ist es schwierig allen authentisch und eigenverantwortlichen Freiraum zu gewähren,
zu viele Individien und zuwenig Struktur….da fehlt es leider.
Eine sehr gute Zusammenfassung! Gut gesagt! Danke! 🙂