Wie soll das nur gehen?! Das frage ich mich schon den ganzen Tag – und jetzt stehe ich vor der sechs Meter langen Bahn aus knöcheltief aufgeschichteten, rotglühenden Kohlen. Ich hatte bisher nur gehört, dass es möglich sein soll – doch kann ich das auch?!
Wenn du wissen willst, wie es weiterging und wie du deine Ängste (und andere Gefühle) als Kräfte nutzen kannst, lies weiter…
Die Kraft hinter den Gefühlen
Es ist ein warmer Tag im Juli. Wir sind auf einem schönen Gelände im Osten Polens und haben den Tag damit verbracht, uns auf den Feuerlauf vorzubereiten: Wir haben uns mit unserer Wut und unseren größten Ängsten verbunden und haben sie gespürt, zugelassen und ausgedrückt. Heilsam wurde diese Erfahrung, indem all das von anderen Menschen wohlwollend gesehen wurde, ohne jemanden „retten“ zu müssen oder jemanden dafür zu bewerten.
So eine Erfahrung kann ich allen Erwachsenen nur wünschen…
Denn Gefühle zu zeigen, gilt ja heutzutage als uncool und unprofessionell. Wut ist peinlich oder gefährlich, Heulsusen sind eine Last für andere, James Bond hat keine Angst, und wer sich einfach so freut, muss wohl einen an der Waffel haben! So einen Mist hat man uns als Kind erzählt.
Die meisten Menschen führen das ihr ganzes Leben lang unhinterfragt weiter, unterdrücken ihre Gefühle und haben keine Ahnung, was sie damit anfangen sollen…
Unterdrückte Gefühle haben fatale Folgen: Ständiger Stress, Krankheiten, Depressionen, Energielosigkeit, Beziehungsarmut, zerstörerische Gefühlsausbrüche, Panikattacken, Zusammenbrüche und vieles mehr.
Eigentlich stecken hinter Gefühlen unglaubliche Kräfte, die uns im Leben und auf dem Weg zur Erkenntnis voranbringen können. Als Vorbereitung für den Feuerlauf haben wir uns auf die Reise gemacht, diese Kräfte zu entdecken und zu nutzen:
- Die Klarheit und Handlungskraft hinter der Wut,
- die Liebe und Verbundenheit hinter der Trauer,
- und die kreative Schöpferkraft hinter der Angst, die Unmögliches möglich machen kann:
Was fühlt wohl ein Jäger, der plötzlich im Wald einem Säbelzahntiger gegenübersteht?
Natürlich fühlt er Angst, und das ist sehr nützlich für ihn, denn diese verleiht ihm Schnelligkeit und Riesenkräfte! Ebenso wie der Mutter, deren Kinder unter einem Auto eingeklemmt sind – und die das Auto hochhebt, um sie zu befreien.
Ansonsten, kennst du McGyver? Diesen genialen Erfinder, der in den unmöglichsten Situationen Dinge improvisiert zusammenbastelt, um sich aus allerlei Gefahren herauszubugsieren…
Meinst du, er würde das schaffen, wenn er keine Angst hätte?
Nö, dann würde er sich in die Ecke setzen und „Ommm“ singen oder so.
McGyver nutzt die Kraft der Angst bewusst, um seine Kreativität und Intuition auf ein Niveau zu heben, das den meisten Menschen unbekannt bleibt.
Gefühle vs. Emotionen
Aber Angst kann doch auch lähmen, sagt ihr jetzt bestimmt! Sie kann Menschen handlungsunfähig machen, sie kopflos durch die Gegend rennen lassen, sogar sinnlos Kriege anzetteln lassen.
Wäre es also nicht doch besser, Ängste aufzulösen und zu heilen, statt sie zu fühlen?
Und wenn man erleuchtet ist, dann ist man doch frei von Angst, oder?!
Mooment! Jetzt brauchen wir eine wichtige Unterscheidung:
GEFÜHLE entstehen im Jetzt, dauern maximal wenige Minuten lang, und enthalten wichtige Informationen und Kräfte für unser Handeln.
EMOTIONEN kommen aus der Vergangenheit – insbesondere von Erlebnissen im Kindesalter, in denen wir unsere starken Gefühle nicht ausdrücken konnten. Emotionen können ein ganzes Leben andauern und geben uns Informationen darüber, was es zu heilen gibt.
Gefühle sind zum Handeln da – Emotionen sind zum Heilen da!
Unterdrückte und emotionale Ängste können uns lähmen und kopflos handeln lassen, oder sie lassen uns vor Situationen flüchten, die wir als Erwachsene eigentlich gut meistern könnten.
Emotionale Ängste haben nichts mit der jetzigen Situation zu tun und können uns im Leben nicht weiterhelfen. Sie können durch emotionale Heilungsprozesse verschiedener Art aufgelöst werden. Je freier man von emotionalen Ängsten wird, desto freier wird man in seinen Entscheidungen – und desto besser kannst du auch die Kräfte nutzen, die in den Gefühlen stecken!
Mehr zur Unterscheidung zwischen Gefühlen und emotionalen Ängsten hat eine Bekannte in diesem Blogartikel zusammengefasst.
Wie kannst du beginnen, die Kraft deiner Gefühle zu nutzen?
Eine wichtige Übung zu Beginn ist, morgens und mehrmals pro Tag innezuhalten, um in dich hinein zu spüren: Was fühle ich gerade?
Nimm folgende Satzanfänge zu Hilfe und beende alle Sätze:
Ich fühle Angst, weil…
Ich fühle Wut, weil…
Ich fühle Traurigkeit, weil…
Ich fühle Freude, weil…
Es genügt, diese vier Gefühle zu nennen, weil alle anderen (sogenannten) Gefühle lediglich Kombinationen daraus sind. In jedem Moment sind alle vier Gefühle da, in verschiedenen Intensitäten. Am Anfang mag es zunächst schwierig sein, diese wahrzunehmen, doch sie sind da. Wenn du „nichts“ fühlst, ist es zumeist unterdrückte Angst. So schärfst du mit der Zeit deine Wahrnehmung.
Um wirklich in die Gefühlsarbeit einzusteigen, ist es sinnvoll, dies gemeinsam mit anderen Menschen zu tun – zum Beispiel bei einem Wutkraft-Training bzw. einem „Rage Club“. Solche Veranstaltungen sind live oder online möglich. Soweit ich weiß, gibt es verschiedene Anbieter; gerne empfehle ich die Veranstaltungen von Possibility Management (PM).
Es gibt sogar einen Telegramkanal mit Veranstaltungen rund um das bewusste Fühlen!
Jetzt aber zurück zum Feuerlauf und dazu, wie wir dort die Kraft unserer Gefühle genutzt haben!
Der Feuerlauf
Es ist sechs Uhr abends und wir haben schon einen intensiven Tag hinter uns. Unsere Gastgeber hatten bereits einen Anhänger voll Holz gesammelt. Wir schichten es nun zu drei Haufen auf und zünden sie an. Schnell lodert das Feuer gut drei Meter hoch – was für eine unglaubliche Hitze! Trotz aller Vorübungen war der Feuerlauf bisher nur eine abstrakte Vorstellung gewesen, und jetzt lodert echte Angst in meinem Bauch auf: Wie soll das nur funktionieren?
Ich erinnere mich an die ersten Stunden des Tages. Zum Klang einer Schamanentrommel hatten wir uns zunächst mit dem Feuer in unserem Körper verbunden – und dem Feuer in der Mitte unseres Kreises. Dann hatten wir unsere Wut geweckt und sie mit unseren Körpern und Stimmen zum Ausdruck gebracht. Unsere Wut ist die Kraft, die uns zeigen kann, was uns im Leben wirklich wichtig ist und was es in unserem Leben zu ändern gibt. Welche wichtigen Entscheidungen wollen wir treffen und wofür wollen wir übers Feuer gehen?
Das hatten wir uns im Laufe des Tages klar gemacht.
Doch lebensverändernde Entscheidungen machen Angst! Welchen Preis sind wir bereit zu zahlen, um das zu tun, was uns wirklich wichtig ist? Bei dieser Frage kommen große Ängste auf – vor Ausgrenzung und Einsamkeit, vor Spott und finanziellem Ruin…
Während das große Feuer langsam herunterbrennt, bereiten wir uns darauf vor, die Kraft unserer Angst zu nutzen, um Unmögliches möglich zu machen. Wir schreiben unsere größten Ängste auf einen Holzpfeil. Ich lege die Pfeilspitze an den weichen Punkt am Hals zwischen den Schlüsselbeinknochen. Das andere Ende nimmt der Anleiter und drückt es in ein Loch in einer Plastikscheibe, um den Pfeil gerade zu halten. Entspanne deine Muskeln und vergegenwärtige dir deine größten Ängste, sagt er. Lasse sie zu, lasse den Körper schütteln, nutze deine Stimme und leite die Energie in den Boden ab.
Ich lasse es zu, dass die Angst sich in meinem Körper frei ausbreitet. Ein Schrei steigt auf, zitternd gehe ich einen Schritt nach vorne – und dann explodiert der Pfeil in Stücke!
Ich spüre, wie sich durch diese Erfahrung etwas in mir verändert hat. Die Angst vor dem Feuer ist immer noch präsent – doch sie fühlt sich anders an: Sie ist nicht mehr kalt und lähmend, sondern warm und pulsierend. Ein neues Vertrauen, eine neue Gewissheit und Selbstsicherheit ist da.
Dann ist es auch schon soweit. Das Feuer ist heruntergebrannt. Die beiden Anleiter verteilen die glühenden Kohlen, so dass ein etwa sieben Schritte langer, knöcheltiefer, feuriger Pfad entsteht.
Lasst eure Entscheidungen für euer Leben aufsteigen – und auch eure größten Ängste, sagen die Anleiter. Schaut keinesfalls auf den Boden. Richtet den Blick nach vorne – auf eure Entscheidungen und das, wofür ihr über das Feuer geht. Geht langsam.
Ich brauche lange, um endlich den Entschluss zu fassen. Die meisten vor mir haben es unverletzt geschafft, doch einige haben eine oder beide Fußsohlen heftig verbrannt. Sie neben dem Feuerpfad zu sehen, macht das Ganze nochmals schwieriger!
Also stelle ich mir die Frage nochmals: Für was gehe ich dieses Risiko ein, mich vielleicht ganz real zu verbrennen? Für was gehe ich wirklich durchs Feuer?
Und siehe da, von innen kommen neue Antworten, die ich vorher noch nicht gesehen hatte! Sie sind wahrhaftig, echt und voll roher, wilder, pulsierender Kraft. Ich spüre meinen Herzschlag im ganzen Körper und eine Lebendigkeit, die weit über mein kleines zweifelndes Ich hinausgeht.
Ich weiß: Die Zeit ist reif, übers Feuer zu gehen…
…
Drüben angekommen, spüre ich eine so große Hitze und Energie in mir aufsteigen, dass mir nichts anderes übrigbleibt, als aus Leibeskräften zu brüllen!
Ich brülle meine Lebensfreude und Lebendigkeit in die Welt, und meinen Entschluss, meine Kraft ins Leben zu bringen und das Leben voll zu bejahen – Schönheit und Schmerz, Licht und Dunkelheit und alles dazwischen.
Ich bin lebendig!
Der Feuerlauf als Initiation
Was sich durch den Feuerlauf in meinem Leben verändern wird, wird sich zeigen. Eines weiß ich nun: Meine Angst kann mich nicht umbringen – und sie kann genau die Kraft sein, die das Unmögliche möglich macht!
Bei dieser Gelegenheit richte ich ein Wort an diejenigen, die materialistisch-wissenschaftliche Erklärungsversuche anbringen wollen. Manche sagen zum Beispiel, dass ein Feuchtigkeitsfilm zwischen den Füßen und der Kohle entstehen soll, der die Übertragung der Hitze verzögert. Das finde ich nicht überzeugend, denn du kannst ja mal versuchen, was passiert, wenn du ein Stück rotglühende Kohle einfach so mit den Händen anfasst! Doch ob es eine Erklärung im heutigen wissenschaftlichen Weltbild gibt oder nicht, ist irrelevant, denn es geht hier um etwas anderes. Ein Feuerlauf ist eine Initiation, ein Übergangsritual ins Erwachsensein, wie sie indigene Völker kannten und teilweise noch kennen – und die in der modernen (Un-)Kultur verlorengegangen sind.
Die meisten Menschen in der westlichen Welt bleiben heutzutage auf dem psychologischen Entwicklungsstand eines Kindes stehen und übernehmen kaum Verantwortung für sich selbst, ihre Gefühle, ihr Leben und ihre Umwelt.
Initiationen können Menschen in ihre ursprüngliche Kraft bringen und ermöglichen erwachsenes Handeln und Fühlen und echte Verantwortungsübernahme.
Initiationen können aus dem Leben selbst kommen – in Form von Krankheit oder Verlust, Depression oder Tod eines geliebten Menschen, Reisen oder Nahtoderfahrungen.
Und andererseits gibt es auch die Möglichkeit, aktiv Situationen zu suchen, die dich über die Grenzen des bisher für möglich Gehaltenen schubsen.
Vielleicht ruft dich auch das Feuer?
Literaturtipps und Links zum Thema Initiationen:
Secrets of the Talking Jaguar – Martin Prechtel
Long Life, Honey in the Heart – Martin Prechtel
Women who run with the wolves – Clarissa Pinkola Estés
Die Trainer von Possibility Management ermöglichen „zivilisierten“ Menschen echte Initiationserfahrungen wie die oben beschriebene: https://de.possibilitymanagement.org/